23.10.2023 Kassel | Immer wieder berichten behinderte Menschen, dass sie aufgrund ihrer Behinderung von Reha-Kliniken abgelehnt werden. So ergeht es derzeit auch der Schriftstellerin Marcella Berger. Ihre Reha-Maßnahme wurde zwar problemlos bewilligt, aufgrund ihrer Blindheit wird sie aber von den Reha-Kliniken abgelehnt. Diese Diskriminierung zeigt nach Ansicht von Marcella Berger dringenden Handlungsbedarf für ein inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen, aber vor allem auch für die Stärkung der Antidiskriminierungsgesetzgebung auf. Ottmar Miles-Paul vom NETZWERK ARTIKEL 3 führte mit Marcella Berger ein Interview über ihre aktuelle Situation und die diskriminierenden Erfahrungen, die sie in den letzten Monaten bei der Suche nach einer Reha-Klinik machen musste.
Ottmar Miles-Paul: Sie sind es wahrscheinlich aufgrund Ihrer Blindheit gewohnt, immer wieder auf Barrieren zu stoßen. Nun haben Sie sich aber besonders aufgeregt. Was war, beziehungsweise ist los?
Marcella Berger: Im Juni dieses Jahres hat mir meine Hausärztin eine Reha-Maßnahme in einer Psychosomatischen Fachklinik verordnet, die mich psychisch stärken und meine Gesundheit wiederherstellen sollte. Die Diagnose „reaktive Depression“ sei dabei als medizinischer Fachbegriff für eine schwere seelische Belastung aufgrund von Verlust und Trauer zu verstehen, weil ich im letzten Jahr sowohl meinen Partner verloren habe, als auch den Freitod meiner besten Freundin zu verkraften hatte. Auch ein notwendig gewordener Umzug in eine neue Wohnung und ein neues Wohnumfeld sowie der rapide fortschreitende Verlust meines Sehvermogens musste ich in dieser Zeit verarbeiten – und all das zusammen überforderte mich wirklich und nahm mir jede Lebensfreude. Es ging mir wirklich nicht gut und ich war sehr froh, dass meine Krankenkasse die Reha-Maßnahme umgehend genehmigte.
Wer nun aber glaubt, damit sei die Talsohle durchschritten und es könne nun – unterstützt durch therapeutische Maßnahmen – langsam wieder bergauf gehen, sieht sich mit mir bitter enttäuscht, denn es gibt keinen Reha-Platz für mich! Die Kliniken lehnen eine Maßnahme mit der Begründung ab, der pflegerische Aufwand sei wegen meiner Blindheit zu groß. „Es sieht schlecht aus“, sagte man mir im letzten Telefonat mit meiner Krankenkasse, man könne die Kliniken nicht zwingen, mich aufzunehmen, „die haben schließlich das Hausrecht und können entscheiden, wen sie nehmen und wen nicht.“ Der Andrang sei eben sehr groß, und die Verträge, welche die Kassen mit den Kliniken schließen, beinhalteten keine entsprechenden Klauseln, so dass auch behinderte Menschen ihr Recht auf medizinische Versorgung in Anspruch nehmen könnten.
Das hat mich völlig umgehauen! Da ist man am Boden und hat mit seinen schweren Problemen zu kämpfen, die so gravierend sind, dass eine medizinische Maßnahme notwendig wird, aber diese Reha kann nicht in Anspruch genommen werden, weil die Kliniken sagen, es sei ihnen zu viel Aufwand, einen blinden Menschen zu betreuen. Für mich ist das, als würde einem, wenn man schon am Boden liegt, noch zusätzlich ein Tritt versetzt. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das in unserem Gesundheitssystem möglich ist. Was wäre denn, wenn ich mir ein Bein oder einen Arm gebrochen hätte oder eine Reha-Maßnahme wegen eines Krebsleidens bräuchte? Würde man dann auch einfach „Sorry, leider nein!“ sagen können? Ich verstehe das wirklich nicht, die Sache trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Und ich denke mir: Das gibt es doch nicht! Das kann doch nicht sein!
Ottmar Miles-Paul: Haben Sie zwischenzeitlich irgendeine Perspektive, die für Sie nötige Rehamaßnahme anzutreten?
Marcella Berger: Die Genehmigung für den Antritt der Reha-Maßnahme gilt bis zum 2. Februar 2024. Meine Krankenkasse meint, es sei denkbar, diese Frist zu verlängern, ich müsste dann aber die Ablehnung der angefragten Kliniken vorlegen, um eine solche Fristverlängerung zu begründen. Allerdings weiß ich gar nicht, welche Kliniken von der Krankenkasse angeschrieben worden sind, ich bin über diese Kontakte nicht informiert. Zwar rufe ich regelmäßig bei der Krankenkasse an, um zu erfahren, ob sich etwas tut, aber ich weiß nicht über die Anfragen der Kasse Bescheid. Außer in einem Fal,, wo ich mir Hoffnung auf eine Zusage gemacht habe. Es war eine Klinik in Bad Wildungen, eine Psychosomatische Fachklinik, die drei Zimmer speziell für Blinde reserviert hat und die mir von einer blinden Freundin empfohlen worden war. Aber leider gab es dann auch von dort eine Absage. Als ich von meiner Krankenkasse wissen wollte, ob die Klinik die speziell für Blinde bereit gestellten Platze auch anders vergeben könne, hieß es, ja, das sei möglich, es gebe kein Druckmittel für die Vergabe der Therapieplätze an behinderte Menschen. Wie gesagt, die Kliniken haben Hausrecht und können nicht gezwungen werden, behinderte Menschen aufzunehmen. Und deshalb tun sie es natürlich auch nicht, weil ja angeblich „der pflegerische Aufwand zu groß“ ist.
Ich habe keine Ahnung, was ich noch tun kann, wenn die Genehmigung für die Reha abläuft oder einfach keine Klinik willens ist, mich zu nehmen. Das alles ist ja nicht nur unfair, es ist auch beschämend!
Ottmar Miles-Paul: Was macht das mit Ihnen, wenn Sie solche Diskriminierungen erleben – und das auch noch im Gesundheitswesen?
Marcella Berger: Ich hätte nie geglaubt, dass ein Mensch, der es sowieso schon schwer hat, weil er mit einem Handicap zurechtkommen muss, gerade im Gesundheitswesen weiter diskriminiert und ihm sein Recht auf therapeutsiche Maßnahmen vorenthalten wird. Ich habe das Gefühl, nicht als vollwertiger Mensch behandelt zu werden. Dass nicht für jeden Menschen die gleichen Chancen auf Gesundung gesichert sind, ist wirklich traurig, eine wirklich traurige Sache ist das! Und es wird stillschweigend geduldet, dass einige Menschen einfach durch den Rost fallen, wenn es um ihre Gesundheit geht.
Ottmar Miles-Paul: Werden Sie dagegen vorgehen?
Marcella Berger: Dass ich so um einen Reha-Platz kämpfen muss – und das wahrscheinlich mit wenig Erfolg – erschüttert mich. Und ich habe gehört, dass ich nicht die Einzige bin, die mit dieser Diskriminierung konfrontiert ist. Ich war wohl zu blauäugig, als ich dachte, die Genehmigung einer medizinischen Maßnahme bedeute schon, dass es auch möglich sei, sie in Anspruch zu nehmen. Jetzt weiß ich es besser. Aber das macht auch klar, dass das nicht so bleiben kann. Jeder hat das Recht auf eine angemessene medizinische Versorgung, ob er nun behindert ist oder nicht. Deshalb möchte ich auf das Problem aufmerksam machen und es ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen.
Es reicht nicht aus, von Teilhabe zu sprechen, man muss sie auch durchsetzen können. Und es reicht nicht aus, gegen Diskrimierung zu sein, es muss auch sichergestellt werden, dass eine solche Diskriminierung, wie ich sie hier gerade erlebe, ein gesellschaftliches No Go ist. Und das geht wahrscheinlich nur durch eine gesetzliche Regelung, die auch die Versorgung behinderter Menschen sicherstellt. Und das ist dann der Job des Gesetzgebers und unserer Parlamente, der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die uns ja vertreten, uns alle, behindert oder nicht.
Ottmar Miles-Paul: Vielen Dank für das Interview.
Link zum kobinet-Bericht
Bild © privat